Erfahrungsbericht
von Fabian und Tobias Engler
Oder: Der Traum von Hawaii
Bevor wir Ihnen gleich unsere große Leidenschaft, das Surfen, näher
bringen wollen, stellen wir uns kurz vor. Wir über uns: Wir sind
Brüder: Fabian, inzwischen 23 Jahre, studiert Medienwirtschaft,
Tobias, 25 Jahre, ist BWL - Student. Uns verbindet nicht nur die
Begeisterung fürs Surfen, wir teilen uns auch den Typ-1-Diabetes.
Besser gesagt, hat natürlich jeder seinen eigenen. Fabian seit dem
11. Lebensjahr, Tobias schloss sich dann mit 15 Jahren an. Wir sind
beide intensiviert eingestellt und benutzen inzwischen das schnellwirksame
Analoginsulin Humalog. Jetzt aber genug der Einleitung, es soll
ja ums Surfen gehen. Wir sitzen in einem dänischen Ferienhaus inmitten
von Dünen und schauen erwartungsfroh aus dem Fenster. Draußen nimmt
der Wind, auf den wir seit Tagen warten, mehr und mehr zu. Seit
11 Jahren fahren mein Bruder und ich zum Surfen. Leider ergibt sich
nur 2-3 mal im Jahr die Möglichkeit, Wasser und Wind in Surfer-Paradiesen
in Frankreich, Holland oder Dänemark zu genießen. Am nächsten Morgen
ist es endlich soweit. Der nordische Himmel ist glasklar und die
7 Beaufort (Windstärken) haben alle Wolken weggeblasen. Nach einer
halben Stunde aufriggen könnte es jetzt endlich losgehen, aber für
Surfer mit Diabetes ergeben sich noch einige Probleme mehr. Beim
Surfen wird die gesamte Körpermuskulatur dauerhaft beansprucht,
was einen ungeheuren Energieaufwand bedeutet. Nicht selten sind
wir zwei Stunden am Stück auf dem Wasser, ohne sich mal eben hinsetzen
oder etwas essen zu können. Wer auf offener See einen Unterzucker
erleidet, hat ernsthafte Probleme, wieder an Land zu gelangen. Der
Umgang mit Blutzuckerwerten und Kohlenhydraten ist dabei stark von
der Art des Reviers abhängig. Auf der Nordsee, wo oft heftige Strömungen
und Wellengang vorherrschen, haben wir erst am Strand wirklich unsere
Ruhe. Wer das weiß, kann sich gut vorbereiten. Mindestens eine halbe
Stunde bevor wir aufs Wasser gehen, testen wir unseren Blutzucker.
Unsere eigenen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Ausgangswert
sicherheitshalber nicht unter 180 mg/dl liegen darf. Hier gilt:
Lieber für 2 Stunden einen erhöhten Blutzuckerwert in Kauf nehmen,
als eine Unterzuckerung auf offener See riskieren. Wir essen also
zuvor reichlich Obst und Müsliriegel oder manchmal auch Schokoriegel;
eigentlich alles, was leicht verdaulich ist und lange den Blutzuckerwert
oben hält. Es reicht aber keinesfalls aus, den Blutzuckerwert nur
mit Sport-BE nach oben zu puschen. Für eine 2?3 stündige intensive
Belastung auf dem Wasser muss auf jeden Fall auch die Insulindosis
um mindestens 50 % reduziert werden. Hierbei müssen wir individuell
die richtige Kombination aus der Reduktion des Verzögerungsinsulins
und des Mahlzeitenbolus wählen. Eben das ist aber eines der Hauptprobleme
beim Surfen, denn morgens können wir einfach noch nicht sicher wissen,
ob der erhoffte Wind überhaupt kommt, und wenn ja, ob schon vormittags
oder erst nachmittags. Da ähnelt die Planung oft einem Glücksspiel.
Was ist aber zu tun, wenn trotz der ausgetüftelten Therapieanpassung
trotzdem etwas schief geht? An jeder Sicherheitsweste oder am Trapez
befindet sich eine Tasche, in die wir mühelos mehrere Tuben Jubin
(absolut wasserfest) unterbringen. Wir schnallen uns aber zusätzlich
immer noch eine kleine, wasserfeste Bauchtasche mit Not-BE um. Die
Kohlenhydrate direkt am Körper und nicht nur am Trapez mitzuführen,
kann manchmal im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig sein.
Es kommt durchaus vor, dass einem beim Sturz sein Material aus den
Händen gerissen und von der Strömung abgetrieben wird. Auch aus
diesen Gründen sollten Surfer mit Diabetes, gilt aber auch für nicht-diabetischer
Surfer, jemanden davon in Kenntnis setzen, wenn sie ins Wasser gehen.
In aller Euphorie und Angst, der Wind könne bald wieder einschlafen,
springen wir auf unsere Boards, legen mit einem Loose-Leach getrimmten
Sail einen obercoolen Beachstart hin. Und das im Shorebreak von
Forby-Sea, die Chicas schauen schon. Wir reiten lässig ein paar
Wellen ab, und dann werden wir so richtig warm. Toby springt einen
einhändigen Push-Loop. Spätestens jetzt laufen alle gertenschlanken
und sonnengebräunten Mädels zusammen und prügeln sich um die Ferngläser.
Nein, lieber Leser, dies waren Surferträume, wie sie vielleicht
von der Legende Robby Nash auf Hawaii gefahren und gesprungen werden.
Na ja, was soll es, hier herrscht eher ein laues Lüftchen als eine
steife Brise vor, aber so ist der Tag eigentlich ganz gut zum Üben.
Ich muss mir sogar zähneknirschend eingestehen, nachdem der letzte
Surfurlaub exakt zwölf Monate zurückliegt, zum dran gewöhnen reicht
mir der Wind wirklich. Ich fasse also all meinen Mut zusammen, schleife
mein irrsinnig schweres Brett und das noch sperrigere Segel ins
Wasser und endlich geht es los. Unter mir reicht das Seegras bis
an die Wasseroberfläche. Das geht so weit, dass die ganze Grütze
an der Finne hängen bleibt und letztlich einen zentnerschweren Klumpen
hinter meinem Heck bildet. Das wird nun vollends meine ohnehin zögerliche
Gleitfahrt vernichten. Wie auch immer, diese Schlingpflanzen zwingen
mich, eine meiner berühmten Eierwenden einzuleiten. Ich denke noch,
bloß nicht ins Wasser fallen, zu dem ekligen Grünzeug und dann ist
es auch schon passiert. Ich verliere das Gleichgewicht, beginne
zu tänzeln, das Brett schaukelt sich auf, es ist mal wieder null
Druck, der mich halten könnte, auf dem Segel, und ab geht es mit
einem lauten Platscher in die Brühe. Jetzt kommt wieder das übliche
Hoffen: hoffentlich haben die an Land gerade in die andere Richtung
geschaut. Die Versuche eines Wasserstarts stelle ich nach exakt
5 Sekunden ein. Genauso lange dauert es zu versuchen, ohne Grund
unter den Füßen - dafür aber mit Seegras bis zum Hals - ein 8,5
qm Segel ohne jeden Wind aus dem Wasser zu heben. Was soll ich sagen,
letztlich greife ich zum altbewährten Schotstart. Der Blick zum
Land lässt mich erneut philosophieren, und zwar über unsere Landsleute,
die ebenfalls seit Jahren an die gleiche dänische Pfütze ohne Wind
fahren. Der Tag findet einen wunderschönen Ausklang, wir sitzen
bei untergehender Sonne am Strand, trinken ein kühles dänisches
Bier und spüren zufrieden den kommenden Muskelkater. Apropos, auch
nach dem Vergnügen ist es erforderlich, den Blutzucker häufiger
zu kontrollieren und die Insulindosis sowohl fürs Abendessen als
auch die Verzögerungsinsulindosis für die Nacht um 30-70 % zu reduzieren.
Jeder Sportler mit Diabetes kennt und fürchtet den Muskelauffülleffekt
nach getaner sportlicher Aktivität; da reicht es nicht aus, auch
bei durchaus verständlich gesteigertem Appetit, nur die Zufuhr von
Kohlenhydraten zu erhöhen. Mein Bruder und ich sind bisher mit diesen
Therapieanpassungen hervorragend gefahren. Der Diabetes war beim
Surfen meist das kleinste Problem. Die Träume von den hawaiianischen
Wellen sind diesen Aufwand mehr als wert, aber auch auf unseren
dänischen Tümpeln möchten wir diesen Sport nicht missen. Der Diabetes
sollte niemanden davon abhalten, sich aufs Wasser, oder ins Seegras,
zu stürzen!
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