Typ-2-Diabetes
und Sport
Wie entsteht Typ-2-Diabetes?
Der Typ-2-Diabetes tritt normalerweise erst ab dem mittleren Lebensalter
auf und wird daher auch "Altersdiabetes" genannt. Die Zahl der Menschen
mit Typ-2-Diabetes steigt in den "Wohlstandsgesellschaften" weltweit
dramatisch an, wobei die Folgen für die Gesundheitssysteme noch
nicht absehbar sind. Der komplizierte Entstehungsmechanismus des
Typ-2-Diabetes unterscheidet sich grundlegend von dem des Typ-1-Diabetes
und ist bis heute nur teilweise aufgeklärt. Die Neigung zur Entwicklung
eines Typ-2-Diabetes wird vererbt, doch nicht jeder mit der Veranlagung
dazu erkrankt auch tatsächlich. Von den genetisch "Vorbelasteten"
entwickeln vor allem diejenigen einen Typ-2-Diabetes, die körperlich
zu wenig aktiv und übergewichtig sind. Diese "Wohlstandsfaktoren"
führen zur Abnahme der Insulinempfindlichkeit von Muskel-, Leber-
und Fettzellen (Insulinresistenz). Um dieselbe Menge Glukose aus
dem Blut in die Muskelzellen aufzunehmen, benötigen die Zellen dann
mehr Insulin. Zu Beginn kann die Bauchspeicheldrüse die Insulinresistenz
noch ausgleichen, indem sie mehr Insulin produziert.
Der dauerhaft erhöhte Insulinspiegel im Blut (Hyperinsulinämie)
führt dazu, dass die Körperzellen noch unempfindlicher für das Insulin
werden. In diesem sich verstärkenden "Teufelskreis" steigt der Blutzucker
immer mehr an und es kommt zum relativen Insulinmangel. Nur durch
spezielle blutzuckersenkende Medikamente kann die Blutglukose noch
im Normbereich gehalten werden. Doch irgendwann sind die überarbeiteten
insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse "ausgepumpt"
und verweigern den Dienst. Spätestens ab diesem Zeitpunkt müssen
dann auch Menschen mit Typ-2-Diabetes Insulin spritzen. Die Entwicklung
des Typ-2-Diabetes verläuft schleichend. Zwischen dem Beginn der
beschriebenen Vorgänge und den ersten Krankheitssymptomen können
mehrere Jahrzehnte liegen. Daher haben viele Menschen mit Typ-2-Diabetes
bereits bei der ersten Entdeckung ihrer Krankheit diabetesspezifische
Folgeerkrankungen. Außerdem sind Typ-2-Diabetiker übermäßig häufig
von Fettstoffwechselstörungen und Bluthochdruck betroffen. Das Risiko
einer Verengung der Herzkranzgefäße und eines Herzinfarktes ist
für Menschen mit Typ-2-Diabetes erhöht.
Körperliche Bewegung als Teil der Diabetestherapie?
Schon seit langer Zeit ist Sport als eine "Säule der Diabetestherapie"
bekannt. Diese Bezeichnung wurde von der Beobachtung abgeleitet,
dass körperliche Bewegung positive Auswirkungen auf den Zuckerhaushalt
vieler Menschen mit Diabetes hat. Inzwischen ist auch wissenschaftlich
erwiesen, dass die meisten Menschen mit Typ-2-Diabetes von gesteigerter
körperlicher Aktivität profitieren können. Heute ist es jedoch nicht
mehr zeitgemäß, Sport von ärztlicher Seite im wahrsten Sinne des
Wortes zu "verordnen". Wenn sie nicht dazu bereit oder in der Lage
sind, können von den Patienten keine großen Veränderungen ihres
Lebensstils verlangt werden. Viele Menschen mit Typ-2-Diabetes profitieren
von einer Steigerung der körperlichen Aktivität, weil Muskelarbeit
die Körperzellen insulinempfindlicher macht. Mit derselben Menge
an Insulin können die Zellen dann mehr Glukose aus dem Blut aufnehmen,
der Blutzuckerspiegel sinkt ab und die Insulinresistenz der Körperzellen
wird durchbrochen. Das entlastet die insulinproduzierenden Zellen
der Bauchspeicheldrüse. Außerdem steigt durch Muskelarbeit der Energieverbrauch,
was zur Reduktion des meist vorhandenen Übergewichtes beiträgt.
Daher ist körperliche Bewegung für Menschen mit Typ-2-Diabetes prinzipiell
zur Therapie geeignet.
Allerdings kann Sport die Insulinempfindlichkeit der Körperzellen
nur vorübergehend erhöhen. Nach höchstens drei Tagen ohne körperliche
Aktivität gehen die positiven Effekte wieder verloren. Das bedeutet,
dass sich Menschen mit Typ-2-Diabetes regelmäßig körperlich bewegen
müssen, um einen medizinischen Nutzen davon zu haben. Theoretisch
könnten auf diese Weise viele Typ-2-Diabetiker auch ohne Medikamente
oder Insulinzufuhr normale Blutzuckerwerte erreichen. Die Theorie
klingt natürlich bestechend, ist aber erfahrungsgemäß nur schwer
in die Praxis umzusetzen. Das größte Problem liegt im Entstehungsmechanismus
des Typ-2-Diabetes selbst begründet. Wer sich von Haus aus gerne
bewegt und sein Leben lang körperlich aktiv war, wird selbst mit
der Veranlagung zum Typ-2-Diabetes wahrscheinlich nicht daran erkranken.
Von der anderen Seite aus betrachtet heißt das: Menschen mit Typ-2-Diabetes
haben meist nicht die Neigung, sich gerne körperlich zu bewegen.
Entsprechend schwierig ist es, Menschen mit Typ-2-Diabetes zu mehr
körperlicher Aktivität zu ermuntern. Gerade im höheren Lebensalter
ist es nicht einfach, eingefahrene Lebensgewohnheiten zu ändern.
Doch gerade diejenigen, die sich vorher überhaupt nicht körperlich
bewegt haben, und die sich zu ein bisschen körperlicher Aktivität
motivieren lassen, profitieren aus medizinischer Sicht am meisten
vom "Sport". Das zweite große Problem ist, dass Sport für viele
Menschen mit Typ-2-Diabetes aus gesundheitlichen Gründen gefährlich
sein kann. Will man aus therapeutischen Überlegungen zu mehr körperlicher
Aktivität raten, muss der erwartete Nutzen die Risiken übersteigen.
Viele Menschen mit Typ-2-Diabetes haben bereits bei der Entdeckung
ihrer Stoffwechselerkrankung spezifische Folgeerkrankungen. Unter
Umständen können diese Folgeerkrankungen eine Kontraindikation für
Sport darstellen. Im höheren Lebensalter treten auch bei Nichtdiabetikern
vermehrt Krankheiten auf, die körperliche Betätigung nicht ohne
weiteres zulassen. Dazu zählen vor allem Verengungen der Herzkranzgefäße
(KHK), die das Risiko für einen Herzinfarkt erhöhen. Alle Menschen
mit Typ-2-Diabetes, die mit regelmäßiger körperlicher Aktivität
beginnen wollen, sollten sich vorher von einem erfahrenen Facharzt
genau untersuchen lassen. Es wäre falsch, allen Typ-2-Diabetikern
unkritisch zu mehr körperlicher Bewegung zu raten!
Praktisches Vorgehen und geeignete Sportarten
Leichte Ausdauersportarten sind für ältere Menschen mit Typ-2-Diabetes
am besten geeignet. Übungsformen, die Spaß machen und langfristig
durchgeführt werden können, stehen natürlich ganz oben auf der "Positiv-Liste".
Dabei kommt es nicht darauf an, sportliche Höchstleistungen zu vollbringen.
Wichtig ist, dass man sich regelmäßig ein wenig körperlich bewegt.
Mehr körperliche Bewegung in den Alltag zu integrieren, ist besonders
Erfolg versprechend. Zuvor körperlich vollständig inaktive Menschen
mit Typ-2-Diabetes können dadurch große Erfolge erzielen. Ein pragmatisches
Ziel ist beispielsweise, dreimal in der Woche mindestens eine halbe
Stunde spazieren zu gehen. Dabei ist die Verletzungsgefahr gering
und die Belastungsintensität kann durch schnelleres oder längeres
Gehen einfach verändert werden. Sie können z. B. Einkäufe zu Fuß
oder mit dem Fahrrad erledigen, anstatt das Auto zu benutzen. Auch
Treppen steigen statt Aufzug fahren oder leichte Gartenarbeit sind
einfache Möglichkeiten, mehr körperliche Aktivität in den Alltag
zu integrieren. Einen interessanten Vorschlag machte Frau Anita
Storch, die seit 60 Jahren Diabetes hat, auf einer Diabetes- und
Sport-Veranstaltung . In der Eröffnungsrede empfahl sie allen Menschen
mit Typ-2-Diabetes, sich einen Hund zuzulegen. Vom täglichen Gassi-Gehen
profitierten Hund und Herrchen bzw. Frauchen gleichermaßen... Sportarten
wie Gehen, Wandern, Laufen, Fahrrad fahren, Schwimmen, kleine Spiele,
Gymnastik oder Tanzen sind für ältere Menschen meist gut geeignet.
Bei entsprechender körperlicher Verfassung können jedoch praktisch
alle denkbaren Sportarten durchgeführt werden. Genau wie Stoffwechselgesunde
sollten auch Menschen mit Typ-2-Diabetes und gleichzeitig erhöhten
Blutdruckwerten keine großen körperlichen Anstrengungen unternehmen.
Daher sollten Menschen mit Typ-2-Diabetes regelmäßig vor, nach und
wenn nötig auch während des Sports den Blutdruck bestimmen und die
gemessenen Werte dokumentieren. Menschen mit Typ-2-Diabetes, die
blutzuckersenkende Medikamente einnehmen oder Insulin spritzen,
müssen teilweise ihre Therapie der körperlichen Aktivität anpassen.
Auf diese Weise können Unterzuckerungen oder Stoffwechselentgleisungen
vermieden werden.
Anpassung der Tablettentherapie an Sport
Wenn ein Mensch mit Typ-2-Diabetes trotz geeigneter Ernährung und
gesteigerter körperlicher Aktivität keine ausreichend guten Blutzuckerwerte
erreicht, ist es anfangs meist möglich, den Diabetes mit Tabletten
einzustellen. Diese Medikamente senken den Blutzuckerspiegel auf
verschiedene Art und Weise. Da Sport den Blutzuckerspiegel ebenfalls
absenkt, kann es sein, dass vor körperlicher Aktivität weniger Tabletten
eingenommen werden müssen, um eine Unterzuckerung zu vermeiden.
Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes, die ihre körperliche Aktivität
langfristig steigern und ihr Körpergewicht reduzieren konnten, ist
es manchmal möglich, die tägliche Tablettendosis zu reduzieren.
In einigen Fällen werden die blutzuckersenkenden Medikamente dann
sogar überhaupt nicht mehr benötigt. Daher sollte der behandelnde
Arzt bei diesen körperlich besonders aktiven Patienten z. B. durch
Auslassversuche regelmäßig überprüfen, ob die verordneten Medikamente
noch nötig sind. Zur Behandlung des Typ-2-Diabetes werden verschiedene
Gruppen von blutzuckersenkenden Medikamenten eingesetzt: a) Sulfonylharnstoffe
(z. B. Euglucon N, Wirkstoff Glibenclamid oder Amaryl, Wirkstoff
Glimepirid): Die Insulin produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse
werden durch Sulfonylharnstoffe dazu angeregt, mehr Insulin auszuschütten.
Weil sich dann mehr Insulin im Blut befindet, sinkt der Blutzuckerspiegel
ab. Die Sulfonylharnstoffe haben teilweise sehr lange Halbwertszeiten.
So hat z. B. Euglucon Nâ eine Wirkdauer von bis zu 24 Stunden. Leider
senken Sulfonylharnstoffe nicht nur erhöhte Blutzuckerwerte, sondern
auch Blutzuckerwerte im Normbereich. Daher können sie Unterzuckerungen
auslösen. Zusammen mit körperlicher Bewegung senken die Sulfonylharnstoffe
den Blutzucker stärker als ohne diese Aktivität. Deshalb kann es
je nach Intensität und Dauer der geplanten körperlichen Aktivität
nötig sein, die Sulfonylharnstoff-Dosis zu reduzieren oder sogar
eine Sulfonylharnstoff-Dosis ganz wegzulassen. Mittelmäßig anstrengende
körperliche Aktivität, die lang andauernd durchgeführt wird, senkt
den Blutzucker mehr als eine sehr erschöpfende Tätigkeit, die nur
kurz durchgeführt wird. Beispielsweise muss die Tablettendosis für
eine mehrstündige Fahrradtour stärker reduziert werden als für eine
Viertelstunde schwere Gartenarbeit. Am größten ist die Unterzuckerungsgefahr,
wenn im Zusammenhang mit Sport eine Mahlzeit ausgelassen wurde.
Im "Eifer des Gefechts" sollte man deshalb nie vergessen, wie gewohnt
Mahlzeiten einzunehmen. Auf jeden Fall müssen Menschen mit Typ-2-Diabetes,
die Sulfonylharnstoffe einnehmen, vor und nach körperlicher Aktivität
den Blutzucker messen, die Werte notieren und die Kohlenhydratzufuhr
entsprechend anpassen. Bei der Wahrnehmung von Unterzuckerungssymptomen
muss der Sport sofort unterbrochen und der Blutzucker bestimmt werden.
Patienten, die Sulfonylharnstoffe einnehmen, müssen über die nötigen
Therapieänderungen im Zusammenhang mit körperlicher Aktivität aufgeklärt
und gut geschult werden. Nur mit einer umfassenden Schulung ist
es möglich, die Unterzuckerungsgefahr zu verringern. b) Biguanide
(z. B. Glucophage, Wirkstoff Metformin): Biguanide senken erhöhte
Blutzuckerspiegel. Bei Stoffwechselgesunden führt die Einnahme von
Biguaniden nicht zu Unterzuckerungen. Im Zusammenhang mit Sport
muss die Biguanid-Dosis nicht reduziert werden. Die bekannteste
Nebenwirkung der Biguanide ist die Laktazidose, das heißt die Anhäufung
von zu viel Milchsäure im Blut. Da auch bei körperlicher Aktivität
Milchsäure produziert wird, ist denkbar, dass die Gefahr von Laktazidosen
im Zusammenhang mit Sport höher ist.
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