Perth to Alice
Diabetes und Sport
Du hast die Wahl...!
" WAS um alles in der Welt willst Du tun ? Du bist ja völlig wahnsinnig
!" Das war die typische Reaktion meiner Freunde und Arbeitskollegen,
wenn ich ihnen erzählte, daß ich mit dem Fahrrad von Perth nach
Alice Springs fahren will. Einige waren wirklich besorgt, weil
ich ja Diabetes habe - darüber mußte ich schmunzeln ! Wenn ich
an diese wirklich einzigartige Radtour zurückdenke, gehören die
ersten Gedanken, die meine Erinnerung kreuzen, der atemberaubenden
Schönheit der endlosen australischen Wüste, dem harten und schwierigen
Terrain, den Nächten im Freien unter dem gigantischen Sternenhimmel
und unserem Kampf auf den Mountainbikes durch den tiefen, roten
Sand, der hier Highway genannt wird. Dann erst erinnere ich mich
daran, warum ich das alles getan habe. Ulrike Thurm, die gerade
in Sydney eine Sektion der IDAA (International Diabetic Athletes
Association) ins Leben ruft, fragte mich als semiprofessionelle
Bahnradrennfahrerin und Trish Griffin, die 1987 den dritten Platz
beim internationalen Foster Ironman errang, ob wir Interesse hätten,
auf dem Fahrrad die große Viktoria und Gibson Wüste zu durchqueren.
Unter diesen Extrembelastungen würden dann regelmäßige Blutzucker-und
Lactatmessungen durchgeführt. Weiterhin sollte anhand der genau
protokollierten Flüssigkeitszufuhr und Gewichtskontrolle der Status
der Dehydratation genauer quantifiziert werden. Das ganze hörte
sich für mich nach einer verflucht guten Idee an, da ich vor allem
durch meine eigenen oft nicht sehr angenehmen Versuch und Irrtum
Methoden erfahren mußte, daß das Gebiet Diabetes und Sport noch
nicht sehr intensiv erforscht wurde, auf jeden Fall nicht die
praktische Konsumentenseite. Nachdem wir die anfänglichen Organisationsschwierigkeiten
erfolgreich überwunden hatten, gelang es uns, noch drei ebenbürtige
Kontrollprobandinnen von der Einzigartigkeit dieses Projektes
zu überzeugen. Die Ärmsten, denn das bedeutete für Liz, Gypsy
und Trish , daß auch sie sich der täglichen Kontrollroutine incl.
kapillarer Blutentnahme unterziehen durften. Wir flogen am 21.
August mit Qantas nach Perth, von dort aus sollte unsere mehr
oder minder wahnsinnige Expedition starten. Unsere Rückflugtickets
waren am 2. September ab Alice Springs ausgestellt, nun hatten
wir also keine Wahl mehr, es gab kein Zurück - der einzige Weg
nach Hause führte durch das endlose australische Outback - auf
Fahrrädern !!! Der ganze Trip war einfach nur phantastisch - ohne
irgendeine Ausnahme. Am herausragendsten ist für mich die Tatsache,
daß wir drei Diabetikerinnen diese physischen und psychischen
Herausforderungen ohne Probleme überstanden haben. Ich bin mir
ziemlich sicher, daß viele andere Diabetiker gerne an diesen oder
ähnlichen Aktivitäten teilnehmen würden, aber sich einfach nicht
trauen. Wir haben mit diesem " Höllenritt" viele Herausforderungen
angenommen und gezeigt, daß es möglich ist, auch als DiabetikerIn.
Wir hoffen mit diesem Erfolg andere Diabetiker zu ermutigen, das
zu tun was sie wirklich wollen. Im Bereich Diabetes und Sport
liefert die IDAA viele wertvolle Informationen, Tips und Erfahrungen,
um die meisten physischen Belastungen sicher überstehen zu können.
Sich mit dem Diabetes wirklich zu arrangieren, ist absolut nicht
einfach, aber wenn es einem gelingt, sein Leben nicht von dieser
chronischen Krankheit bestimmen zu lassen, sondern trotz des Diabetes
alles erreicht, was einem wichtig ist, ist es alle Mühen und manchmal
unvermeidbare Rückschläge oder Mißerfolge wert. Eine Radtour quer
durch das Outback ist vielleicht nicht jedermanns Lieblingssportart
oder Vorstellung von einer phantastischen Zeit, aber ich hoffe,
daß einige durch das Lesen des folgenden Artikels motiviert und
bestärkt werden, sich nicht von diesen so oft gehörten Worten:
"das kannst Du leider nicht machen, Du hast Diabetes" abschrecken
zu lassen. Du kannst, wenn Du willst - es ist bestimmt nicht immer
einfach, oft auch mit viel Arbeit, Eigenmotivation und starkem
Willen verbunden, aber es lohnt sich. Du hast die Wahl !!! LINDA
Die neunköpfige Truppe vor dem 348 Meter hohen Uluru (ehem. Ayers
Rock) im roten Zentrum Australiens Winners don`t quit and Quitters
don`t win Montag morgens um 6.30 - die kleine Nebenstraße in Perth
war noch ganz verschlafen und ruhig - ganz im Gegensatz zu uns.
Nun ging es also los, wir warteten zu viert auf Ross, den Inhaber
und Fahrer von Remote Outback Tours Australia, der uns in den
folgenden 14 Tagen fast 2000 km quer durch die Wüsten im Outback
des fünften Kontinets führen sollte. Jeder versuchte, die Nervosität
mit dummen Witzen über verschollene Radler im ewigen Outback zu
überspielen, erst gegen Ende der Tour gaben alle zu, daß sie mehrere
unruhige Nächte verbracht hatten - Träume von glühender Hitze,
nicht mit den anderen mithalten zu können, einfach den physischen
und psychischen Belastungen nicht gewachsen zu sein, täglich endlose
Kilometer über dirt roads und Sandtrecks zu strampeln. Wie fit
werden die Mitfahrer sein ? Welche Art Terrain erwartet uns da
draußen ? Werden wir immer genug Wasser haben, um den riesigen
Flüssigkeitsverlust auszugleichen ? ( Ganz abgesehen von der persönlichen
Eitelkeit und den der Zivilisation erwachsenen Bedürfnissen einer
täglichen Dusche.) Horrorvorstellungen von riesigen Spinnen oder
Schlangen nachts im Schlafsack - die giftigsten Spezies versammeln
sich allesamt im Outback. Wilde Dingos, denen wir selbst mit einem
Tour de France Sprint nicht entkommen können...ach ja, da war
ja noch was. In den Köpfen von dreien aus diesem neunköpfigen
Himmelfahrtskommando spukten ja noch ganz andere Bedenken herum
- wird mein Insulin den extremen Temperaturen standhalten ? Wie
muß ich meine Dosis an diese unkalkulierbaren Belastungen anpassen
? Was, wenn ich alleine mitten in der Wüste eine Unterzuckerung
bekomme...... Doch glücklicherweise hatten wir nicht allzuviel
Zeit, um über all diese Wenns und Abers nachzugrübeln, nach und
nach trudelte der Rest der wahnsinnigen Radfahrer ein und dann
bog auch der 4 WD beladen mit 12 Trek - Mountainbikes um die Ecke.
Die Räder und der Fahrer wurden sofort kritisch unter die Lupe
genommen - ihnen sollten wir uns ja schließlich in den folgenden
vierzehn Tagen anvertrauen. Doch nach kurzer aber gründlicher
Prüfung wurden Mensch und Material für gut befunden, unsere Taschen
inclusive der mobilen Labor- und Meßstation in den Anhänger verladen
und mit einem letzten Blick auf die zivilisatorischen Errungenschaften
der erwachenden Stadt stiegen wir in den Wagen, um die Reise in
eine völlig andere Welt anzutreten. Weit kamen wir nicht; wenn
es so weitergehen sollte, würden wir nicht weit über Kalgoorlie
hinauskommen. Ein Leck in der Ölleitung zwang uns zum ersten Boxenstop
nach gerade mal 25 km, na klasse! Doch das Problem hatte Ross
als langjähriger Buschtrucker schnell behoben - eine Kleinigkeit
zu dem, was uns da draußen noch erwarten sollte. Die ersten 500
km wurden im Wagen zurückgelegt, was schon einmal leichten Unmut
bei den fanatischen Aktivisten auslöste. Doch diese nicht aktive
Zeit wurde sinnvoll genutzt, indem unser Tourguide uns den Ablauf
unserer Fahrradodysse näher schilderte. Außerdem hatten wir Zeit,
uns in aller Ruhe etwas kennenzulernen. Bill, der extra für diese
Tour aus den Staaten eingeflogen war, zeigte sich etwas enttäuscht
- als einziger Mann in dieser Frauenrunde. "Bevor ich aus Washington
losflog, habe ich meinen Freunden erzählt, daß ich hier auf Grund
der extrem hohen körperlichen Belastungen dieser Strecke nur auf
super durchtrainierte, junge männliche Triathleten treffe, deren
Staub ich schlucken darf. Und jetzt, ein Haufen mittelalter Weiber."
Als wir nach fast 2000 strapaziösen Kilometern in Alice Springs
ankamen, hatte sein männliches Ego auf diesem Weg eine Wandlung
erfahren. Er verließ uns mit dem Spruch und etwas lächelnder Selbstironie:"
Hm, nun werde ich meinen Freunden in Washington also erzählen
müssen, daß ich auf diesem Trip auf ausschließlich super durchtrainierte
weibliche Athletinnen gestoßen bin, deren Staub ich all diese
Kilometer schlucken mußte, wie peinlich!" Aber diese Wandlung
sollte nicht die einzige sein, die in dieser von bizarrer Schönheit
erfüllten Wüste vor sich gehen sollte. "Die Erfahrung der Wüste
wird euch verändern", hatte Ross uns am ersten Tag unserer Reise
prophezeit, unsere Skepsis diesbezüglich wich mit jedem zurückgelegten
Kilometer. Kalgoorlie, unsere erste Nacht unter freiem Himmel
- um uns Städter langsam von der Zivilisation zu entwöhnen, diesmal
noch auf einem Campingplatz, mit Toiletten und Duschen. Die Zelte
waren schnell aufgebaut - einige hinterließen allerdings eher
den Eindruck, schon vor ihrer Benutzung heftige Stürme hinter
sich gehabt zu haben, was wahrlich nicht an der Qualität unserer
Polyesterbehausungen lag. Ross lächelte über uns Weichlinge und
breitete seine Matratze mit Schlafsack unter freiem Himmel aus.
Uns schauderte bei der Vorstellung, welch Viehzeug ihm dann im
Schlaf übers Gesicht kreuchen könnte - in den letzten Nächten
des Trecks stand nur noch ein einziges Zelt. Bis auf Linda, die
noch nie vorher in ihrem Leben gecampt und mit Wärmflasche, Bügeleisen,
Reisefön weiterhin Make - up und Nagellack die Reise angetreten
hatte, waren alle nach und nach Ross Beispiel gefolgt, um beim
Einschlafen den einfach unbeschreiblichen Sternenhimmel genießen
zu können. Ein Naturschauspiel von atemberaubender Schönheit,
daß für immer in meiner Erinnerung bleiben wird. Am nächsten Morgen
wurde in aller Eile unsere Campstadt abgebaut und nach einem ausgiebigen
Frühstück am Lagerfeuer fuhren wir bis zur ehemaligen Goldgräber-
und heutigen Geisterstadt Gwalia. Nach einem kurzen Ausflug in
die langsam verfallenden Behausungen der Vergangenheit, begraben
unter Wüstenstaub ebenso wie die noch in ihnen lebenden Hoffnungen
nach Gold und großem Reichtum, ging es dann endlich auf die Fahrräder.
Wir mußten uns der Größe nach aufstellen, um dementsprechend die
passenden Fahrräder vom 4 WD heruntergereicht zu bekommen. Die
lange aufgestaute Nervosität schlug um in hektisches Treiben inmitten
der wie still stehenden Wüste: schneller Wechsel in die Radmontour,
Einstellen der Sattelhöhe, Füllen der Wasserflaschen, Power Bars
als Energieschub in die Trikottaschen. Da dieser Höllenritt auch
eine Studie beinhaltete - wir wollten unter dieser Extrembelastung
- physisch wie thermisch - das Ausmaß der Dehydratation ermitteln,
als Vergleichsmessung der drei diabetischen und drei nicht diabetischen,
alter- und geschlechtsgematchten Kontrollpersonen, mußte unsere
Laborroutine hier zum ersten Mal etabliert werden. Also, alle
ab auf die Waage und exakt gemessene Flüssigkeitsmengen während
der Fahrt. Da der Flüssigkeitsverlust selbstverständlich eng mit
der Intensität der Belastung zusammenhängt, mußten wir diese auf
individueller Basis feststellen. Das bedeutete neben Puls und
Blutdruckmessung auch für die Kontrollpersonen einen Stich in
die Fingerkuppe, um mit diesem kapillären Blutstropfen mittels
des von Boehringer Mannheim freundlicherweise zur Verfügung gestellten
Accusports den momentanen Lactatwert zu ermitteln. Last not least
natürlich der für die Diabetikerinnen wesentlichste Parameter
- der aktuelle Blutzuckerwert. Das 20 Sekunden schnelle Meßgerät
von Medisense lieferte uns während der gesamten Fahrt und unter
allen noch so ungünstigen Bedingungen zuverlässige Ergebnisse.
Getreu ihrem Motto "we help you to get there" - sie hielten Wort.
So, in aller Eile die Daten in die Tabellen eintragen und dann
entlud sich in einem fast Radrennen gleichen Tempo das aufgestaute
Adrenalin in einem losstürmenden Pulk von Mountainbikes, die den
verwaisten 4 WD mitsamt Fahrer in einer Wolke von rotem Staub
und Sand zurückließen. Doch der harte Boden und die beginnende
Mittagshitze zollten ihren Tribut - nach wenigen Anfangskilometern
wurde das Sprinttempo zu der dem Terrain angemessenen Geschwindigkeit
zurückgeschraubt - was aber trotzdem keineswegs langsam war. Wir
spürten nun am eigenen Gesäß warum dieser Treck nur für 4 WD ausgeschrieben
ist - Trish hatte für ihren Schaffwollsitzbezug viel Spott und
Hähme geerntet - jetzt hatte sie das lachende, bessere Ende. Endlich
geht's los Doch als wir nach mehreren Stunden erschöpft aber zufrieden,
ausgepowert und erschlagen von der einzigartigen Schönheit der
Wüste unser Nachtlager inmitten von viel Nichts erreichten, wurde
uns erst die absolute Weite, ja Unendlichkeit dieser Naturgegend
bewußt. Im Umkreis von mehreren hundert Kilometern befand sich
keine weitere Menschenseele. Wenn wir am gestrigen Abend schon
gedacht hatten, der Sternenhimmel wäre überwältigend, so mußten
wir in dieser Nacht am Lagerfeuer sitzend feststellen, daß das
nur eine Andeutung dieser wirklichen Einzigartigkeit gewesen war
- ohne Worte. So tauschten die meisten das Sternenzelt gegen das
aus Polyester und wir krochen in der heraufziehenden Kälte in
unsere Schlafsäcke, den roten Staub in den Haaren, in jeder Pore
unserer Haut, den Klamotten, einfach überall. Als die abendlichen
Gute Nacht Wünsche verstummten, waren wir umgeben von einer Stille,
die fast in den Ohren schmerzte. Man hätte eine Ameise trippeln
hören können, wenn sie neben dem Schlafsack hergelaufen wäre.
Das leise Schnarchen von Mark, der in Kalgoorlie zu uns gestoßen
war, dröhnte wie das Donnern von Starfightermotoren inmitten dieser
gigantischen Ruhe. Keiner wurde in dieser ersten Nacht im Outback
von wilden Tieren gefressen und so starteten wir mit dem Sonnenaufgang
das uns nun schon vertrautere "Meßzeremoniell". Auch die mitradelnden
Männer wurden vom Lactatfieber erfaßt und obwohl sie uns während
der Mahlzeiteninjektionen noch recht kritisch als "drug addicts"
bezeichneten, wollten sie nun auch ihre Belastungsintensität gemessen
bekommen. Während der nächsten Tage gehörte die Frage:" na, haste
dich auch angestrengt, wie hoch ist denn dein Lactatwert?" zum
Standart nach Beendigung jeder Radetappe. Die Weckzeit von ca.
6.00 Uhr ( und das im Urlaub !!! ) stellte die Nicht - Morgenmenschen
von uns auf eine harte Probe, zudem es zu dieser Tageszeit bitterkalt
war. Doch der phänomenale Sonnenaufgang hier entschädigte selbst
für die nicht vorhandenen Waschgelegenheiten. Nach dem heißen
Kaffee vom Lagerfeuer schwangen wir uns mit den ersten wärmenden
Sonnenstrahlen wieder auf die Räder. Eine endlose Reihe von Bodenwellen
schüttelte auch den letzten Schlaf aus unseren Körpern, eine hochgiftige
brown snake am Straßenrand versetzte die gesamte Truppe in Aufregung.
Aus respektvoller Distanz wagten wir ein Photo, bevor wir uns
in großem Bogen und so schnell als möglich von diesem Reptil entfernten.
Viele Kamel-, Emu-, Dingo- und Känguruhspuren erstreckten sich
entlang unseres Weges und wir waren jedesmal wieder begeistert,
wenn wir diese Tiere am späten Nachmittag bei ihrer Futtersuche
beobachten konnten. Der Untergrund wechselte von steinigem, hartem
Belag zu weichem, tiefen Sand, sozusagen vom Regen in die Traufe,
so daß wir kurzzeitig selbst mit den Mountainbikes festsaßen und
schieben mußten. Bei der wohlverdienten Mittagspause entdeckten
wir kleinere Höhlen mit Abboriginiemalerei, danach ging es dann
frischgestärkt weiter. Die Nachmittagsetappe entwickelte sich
zum Härtetest - die letzten 10 km waren eine wahre Sandschlacht
und Linda stöhnte, sie wäre lieber 80 km in der Halle gefahren,
daß sei weit weniger anstrengend. Alle verfügbaren Power Bars
waren beim Eintreffen im Camp verbraucht, sämtliche unserer Energiereserven
ebenfalls - auch die Blutzuckerwerte befanden sich am unteren
Ende des Toleranzbereiches - but winners don`t quit and quitters
don`t win. Nach dem Abendessen brachen wir dann dennoch zu einer
Nachtwanderung auf und beobachteten von einem nahegelegenen Hügel
den Mondaufgang. Diese Naturspektakel verschlugen uns immer wieder
den Atem. Ein erster Dingo sorgte in dieser Nacht für Aufruhr
im Lager - sein Heulen hatten wir schon den gesamten Abend vernommen,
was Linda dazu veranlaßte, ihr Nachtlager im Auto aufzuschlagen
- mit verschlossenen Türen und Fenstern. Als dann alles ruhig
war, schlich er sich in Reichweite zwischen den Schlafsäcken hindurch
zur Kochstelle - glücklicherweise gehörten radfahrende Touristen
nicht zu seinem Speiseplan. Da waren wir schon eine größere Attraktion
für einige Touristen, die uns am nächsten Tag in ihrem Allradantrieb
begegneten. Sie glaubten zunächst an einen schweren Sonnenstich,
als sie eine Fatamorgana von Radfahrern inmitten der brütendheißen
öden Wüste halluzinierten. Sie waren recht erleichtert, als diese
"Erscheinungen" mit ihnen sprachen und recht real zu sein schienen
- aber trotz alledem wurden wir umgehend auf Polaroid festgehalten
- man kann bei diesen Temperaturen ja nie wissen. Am nächsten
Tag waren wir besser gewappnet für dieses tiefe und absolut kräftezehrende
Gelände - die Insulindosis wurde fast auf die Hälfte des Ausgangsniveaus
reduziert, die Kohlenhydratzufuhr gleichzeitig verdoppelt. Wir
fuhren Windschatten im Team, rutschten und schlidderten Kilometer
um Kilometer durch diese endlosen Weiten. Hügelkette reihte sich
an Hügelkette - bei jedem Hügel waren wir gespannt auf das, was
sich dahinter verbarg. Jedesmal war es ein weiteres, immer gleiches,
nicht enden wollendes Meer von rotem Sand, Sträuchern - Weite
bis zum Horizont. In diesen Stunden sprach kaum einer von uns
ein Wort, wir waren gefangen von dieser Landschaft, fasziniert
von der Stille, erschlagen von der Hitze. Sich aus eigener Kraft
auf dem Rad durch diese Wildnis zu bewegen, verbindet ganz anders
mit diesen Elementen, Erfahrungen ganz eigen und einzigartig,
wie man sie niemals im Bus, Auto oder Flugzeug gewinnen könnte.
Mittags wurden wir dann von unserem Tourguide vor eine wirklich
schwierige Entscheidung gestellt: entweder wir fahren zum nächsten
roadhouse und können alle nach zweitägiger Waschabstinenz duschen
oder wir radeln weiter bis zum Abend. Die Wahl viel sofort und
einstimmig - radfahren. Ross hatte also Recht behalten - diese
Wüste hat selbst uns verweichlichte Städter verändert - aber bestimmt
nicht zum Negativen. Nach dieser ganztägigen langen Etappe signalisierten
auch die Lactatwerte, daß wir wirklich hart gearbeitet hatten.
Der Flüssigkeitsverbrauch war immens - wir mußten mehrmals am
Begleitfahrzeug unsere Trinkflaschen wieder auffüllen. Die Waage
zeigte uns hinterher, daß wir gut daran getan hatten, weder die
Diabetikerinnen noch die nicht diabetischen Kontrollpersonen hatten
durch Dehydratation an Gewicht verloren. Bei guten Blutzuckerwerten,
die wir glücklicherweise fast überwiegend hatten, haben wir über
die gesamte Tour keinerlei Unterschiede zwischen Diabetikern und
Nicht - Diabetikern bzgl. der Dehydratation feststellen können.
In unserem Camp in Warburton warteten dann abends zwei Überraschungen
auf uns, zum einen Dave, ein Outback - Ranger, der uns den nächsten
Tag bis zum Ayers Rock ( oder in der Aboriginalsprache als Uluru
bekannt ) begleiten sollte, zum anderen richtige Duschen - welch
ein Genuß, das Wasser färbte sich rot, als sich die zentimeterdicke
Staubschicht von unserer Haut löste. Ein weiterer Tag im Paradies
brach an, Dave, als absoluter Kenner dieser Gegend mitsamt seiner
Geschichte, erklärte uns während unserer heutigen Etappe die Besonderheiten
der sich vor uns erstreckenden Bergwelt, ihre Bedeutung für die
Aboriginals, deren Traumzeiten und Wanderungen. Er gab uns Tips,
mit welchem Notfallkit der moderne Mensch mehrere Tage alleine
in der Wüste überleben kann. Ausgerüstet mit einer Plastiktüte,
einem Spiegel und anderen lebensrettenden Kleinigkeiten, die er
alle in einer kleinen Blechbüchse mit sich trug, soll man es da
draußen aushalten können, wir mußten es glücklicherweise nie ausprobieren.
Als die Sonne sich dem Zenit näherte, verstummten seine Erzählungen,
auch er brauchte alle Luft, um sich über diese Bodenwellen zu
kämpfen. Es war ein Gefühl, als führe man permanent mit dem Rad
über sich aneinanderreihende Straßenbahnschienen, wir wurden durcheinandergeschüttelt,
wie in einer Waschmaschiene im Schleudergang. Ich hatte echte
Bedenken, das Insulin in meiner Disetronic - Insulinpumpe würde
zu einer sprudelnd heißen sektähnlichen Konsistenz umgewandelt.
Doch es überstand diesen Schüttel- und Hitzetest schadlos. Die
letzten Kilometer, bevor die Räder dann wieder auf den Wagen verladen
werden sollten, führten uns über einen harten, festgefahrenen
Untergrund. Ehrgeiz und Kampfgeist erfasste plötzlich alle in
der Truppe - stereotyp schwangen sich die Fahrer aus dem Sattel
und mit letztem Krafteinsatz schoßen wir im Sprint wechselseitig
aneinander vorbei. Getragen von den Endorphinen und der Schönheit
dieser Natur jagten wir über den Treck, bis wir Ross und unser
Wüstenschiff erreichten. Der Ärmste war immer wieder erstaunt
ob dieser Truppe - eine Wüstentour mit solch "tierischen" Athletinnen
inclusive ihrer mobilen Laborstation war auch für ihn ein absolutes
Novum. Mit dem Einsetzen des Sonnenuntergangs passierten wir die
Olgas und erreichten den seine Farben wechselnden Ayers Rock -
eine umwerfende Schönheit für unsere die Monotonie der Wüste gewöhnten
Augen - geschafft, wir haben das rote Zentrums Australiens erreicht.
Die Dunkelheit war längst hereingebrochen als wir im Yulara Resort
ankamen - eine Touristenhochburg, in der wir uns nach diesen Tagen
der Einsamkeit mit ihrer äußeren und inneren Ruhe recht deplaziert
vorkamen. Obwohl ein paar Bahnen im Swimmingpool und der Genuß
eines kühlen Drinks Balsam für unseren fast asketisch reduzierten
Lebensstil darstellten. Der nächste Tag sollte der Erholung und
Regeneration im Camp dienen - doch weit gefehlt bei unserer bewegungsfanatischen
weiblichen Crew. Um nicht auf Entzug zu kommen, erklommen wir
am frühen Morgen schon den 3.6 km langen und 348 m hohen Rock
- der Aufstieg auf diesen weltgrößten Monolithen war nichts für
Leute mit schwachem Herzen oder Kondition. Doch der Ausblick verdient
unumstritten seine Bezeichnung als Weltwunder. Der Kontrast seiner
massiven Proportionen, die aus der endlosen flachen Wüste herausragen
- man kann es nicht in Worte fassen, man sollte es selbst gesehen
haben !!! Am Abend stießen Chris, Susan und Allen zur Radcombo
- beim Essen wurden sie gleich mit Horrostories über diese fast
unmenschlichen weiblichen Energiebolzen bombardiert. "Das wollen
wir doch mal sehen, ich werde diesen Frauen mal zeigen, was eine
radfahrende Harke ist!" dachte sich Chris daraufhin am nächsten
Morgen, als wir zur Uluru - Umrundung aufbrachen. Er setzte sich
mit einem kurzen Sprint sofort an den Kopf der zwölf Fahrer/ innen
- ein triumphierender Blick über die Schulter, doch welch Enttäuschung,
die drei "insulingetriebenen" Fahrerinnen klebten unverdrossen
an seinem Hinterrad. Nun denn, von männlichem Ehrgeiz getrieben
stemmte er sich in die Pedalen, preschte Kilometer um Kilometer
mit rasender Geschwindigkeit über den Asphalt. Ein weiterer Blick
über die Schulter, doch Erstaunen und Frustration wichen seinen
siegesgewissen Zügen - diese drei ........ waren einfach nicht
abzuschütteln. Die letzten Kilometer bis zum Rock, Chris gab nochmal
alles, sein Oberkörper schwang heftig von einer Seite zur anderen,
seine Gesichtsfarbe näherte sich dem violetten, doch der Blick
zurück im Zorn bestätigte seine übelsten Befürchtungen, sie waren
immer noch da!!! Das wars, er fuhr langsam zur Seite, wir verbargen
unsere Erschöpfung mit größter Anstrengung hinter einem freundlichen
Lächeln und rollten auf den letzten Metern nicht ohne gewissen
Stolz, aber mit bewußt aufgesetzter Gleichgültigkeit an ihm vorbei.
"Wir sehen uns dann am Aufstieg, viel Spaß noch," mit diesen netten
Worten ließen wir ihn in der Wüste stehen. Tja, vielleicht hätten
wir ihm vorher erzählen sollen, daß Trish mal dritte der Welt
im Iron - man - Triathlon gewesen war und Linda dieses Jahr ihre
erste semiprofessionelle Saison als Bahnradrennfahrerin antritt.
Er trug seine Enttäuschung mit Fassung, doch als er beim Mittagessen
sah, daß wir uns "etwas" spritzten, war für ihn komplett klar,
daß all dieses Gerede vom Diabetes reine Phantasiegespinnste darstellte,
um alle anderen zu täuschen und geschickt zu tarnen, daß wir uns
hochgradig dopten - tja, welch` ungeheuren Kräfte " powered by
Insulin " doch freisetzen kann !!! Bei der sich anschließenden
direkten Umrundung des Rocks war der Weg flankiert von vielen
Informationsschildern über die Kultur der Ureinwohner, deren heilige
Bedeutung um und mit diesem Felsmassiv - ihre Religion und Lebensweise
ist westlichen Gewohnheiten sehr fremd, was leider auch zu unüberwindbaren
Schwierigkeiten mit dem Eintreffen der weißen Siedler im 17. Jahrhundert
geführt hat. Bis heute ist es kaum gelungen, daß sich beide Kulturen
erfolgreich aneinander annähern. Wir genossen es in dieser Nacht
sehr, wieder zurück in der Wüste zu sein, fern dem Lärm und der
Hektik der Zivilisation. Die Landschaft wurde in den folgenden
Tagen viel abwechslungsreicher, ebenso unser Trainingsprogramm.
Da in diesem teilweise fast unpassierbaren Gelände zwischenzeitlich
längere 4 wheel drive Fahrten erforderlich waren, erweiterten
wir das tägliche Bewegungsprogramm um morgendliche Joggingläufe,
während die anderen noch ihre Schlafsäcke zusammenrollten - Ross
las uns dann entlang des Weges wieder auf. Am Kings Canyon mußten
wir uns schweren Herzens für einige Stunden von unseren Fahrrädern
trennen, es wäre selbst für eingefleischte Masochisten unmöglich
gewesen, diesen auf den Bikes zu durchqueren. Wir bewegten uns
in diesen letzten fünf Tagen auf den Spuren früherer Entdecker
dieses Teils Central Australiens. Ernest Giles hatte seine Expeditionen
in den Jahren um 1870 als " Romanze der Entdeckungen " geschildert.
Wir konnten seine sehr gefühlvollen und überschwenglichen Reiseberichte
mehr als nachfühlen: die zerklüfteten Felsformationen der Canyons,
wir nahmen die Schönheit und Vielfalt der Flora und Fauna in Palm
Valley in uns auf. Wir kamen uns wie in den Garten Edens versetzt
vor beim Erreichen der spektakulären Grotten, in diesen früher
und heute so lebenserhaltenden Wasserlöcher kamen unsere Triathletinnen
dann sogar noch zu ihrer Schwimmroutine, obwohl die Eiseskälte
dieses feuchten Elements die Schwimmstrecke stark dezimierte.
Doch während wir diese herausragenden Naturschauspiele durchquerten,
warteten auch noch körperliche Herausforderungen auf uns. Unter
anderem ein 45 Grad steiler Anstieg, der für 4 WD legendäre jump
up. In früheren Zeiten war diese Straße nicht asphaltiert und
viele Wagen mußten trotz Allradantrieb kapitulieren - diese Herausforderung
wartete nun auf unsere Beinmotoren, nachdem sie schon mehr als
vier Stunden Wüstensand gestrampelt hatten. Doch im Sinne von
"nothing can stop us now" erklommen wir auch wild entschlossen
diesen Berg unter heftigem Lactatanstieg. Unsere Insulinsensibilität
war inzwischen soweit angestiegen, daß wir auf Grund der kontinuierlichen
Ausdauerbelastungen fast nur noch ein Drittel unserer ursprünglichen
Insulinmengen benötigten, selbstverständlich bei deutlich erhöhter
Kohlenhydratzufuhr. Besonders nachts war die Dosis durch den beträchtlichen
Muskelauffülleffekt, der sich mit jedem Tag zu potenzieren schien,
fast nur noch ein Witz, so wenig, daß es sich kaum zu injezieren
lohnte. Sturz oder Pause? Wir übernachteten anschließend in Ipolera,
einer Aboriginal Community, deren Kühe in der Nacht unser Schlaflager
heimsuchten, aber inzwischen waren wir ja zu halben Buschies geworden,
so daß wir die Hufe vor Augen beim Erwachen recht gelassen hinnahmen.
Wir hatten uns auch daran gewöhnt, über und über mit Staub bedeckt,
schmerzenden Knochen, jeden Muskel des Körpers spürend trotz der
Kälte der Nacht unter freiem Himmel zu schlafen. Die Gruppendynamik
war einzigartig, nicht eine einzige Auseinandersetzung, keinerlei
Unmutsäußerungen - Teamgeist in jeder Situation, vom Abwasch bis
hin zum Warten auf den letzten Radler, keiner zeigte unsoziale
Extravaganzen, tja, vielleicht sollten alle mal diese Erfahrung
Wüste mitmachen. Am letzten Tag stießen wir auf eine wilde Pferdeherde,
Bill, unserer eingefleischter Ami scheuchte sie mit dem Fahrrad
in alter Cowboymanier. Wie gut, daß er sich bei der Kamelherde,
die wir einige Tage vorher in freier Wildbahn zu Gesicht bekamen,
taktvoll zurückgehalten hat, diese spuckenden Artgenossen können
sehr unangenehm und gefährlich werden. Der letzte Ritt auf unseren
Drahteseln ( obwohl man die ausgezeichneten Trek - Räder, die
sogar mit Stoßdämpfern ausgerüstet waren, wahrlich nicht als solche
bezeichnen dürfte ) forderte mit seinen vielen Hügeln, rauhem,
steinigem Untergrund nochmals die letzten Kraftreserven. Obwohl
man fairerweise dazu betonen sollte, daß unserem wahrlich nicht
gemächlichen Tempo wohl der Hauptanteil an diesem zehrenden Endspurt
zuzuschieben ist. Die letzte Nacht erfüllte uns alle mit Wehmut.
Obwohl in unserem Unterbewußtsein Visionen von einem richtigen
Bett, einer heißen Dusche, einem sauberen T-Shirt, einer Steckdose
für Linda`s Fön und Bügeleisen, dem Gedanken, aufzustehen und
nicht nur rote Erde und Staub um sich zu haben, wie eine Fatamorgana
herumspukten, fiel es uns schwer, uns von unserem heißgeliebten
Sternenzelt zu verabschieden, die vielen Gespräche am Lagerfeuer,
die Personen hinter den Gesichtern, die uns inzwischen so vertraut
geworden waren, die unbeschreibliche Ruhe, die wirklich in uns
eingedrungen war. Nächtliches Sternenkreuz des Südens - wir werden
dich niemals vergessen. Doch als wir am nächsten Tag auf einem
planierten Radweg in Alice Springs einfuhren, fühlten wir auch
viel Freude und Stolz, wir hatten es wirklich geschafft, alle
Schwierigkeiten und Hindernisse dieser rauhen Wüste zu überwinden,
mit unseren Rädern diese Herausforderung bestanden zu haben und,
ach ja, der Diabetes hat uns nicht im mindesten stoppen können,
dieses Abenteuer erfolgreich zu beenden. Auf diesem Wege möchte
ich mich bei allen Sponsoren bedanken, die dieses einzigartige
Erlebnis möglich gemacht haben, vielen Dank MEDISENSE, BOEHRINGER
MANNHEIM, QANTAS, POWER BAR, dem WESTERN AUSTRALIAN TOURISMUS
OFFICE und vor allem auch der großen und geduldigen Hilfe unserer
KONTROLLPERSONEN und deren SEELISCH- MORALISCHER UNTERSTÜTZUNG,
GYPSY, LIZ und TRISH !!! Vor allem auch der IDAA ( INTERNATIONAL
DIABETIC ATHLETES ASSOCIATION ), ohne deren couragierte Vorreiterrolle,
Motivation, Enthusiasmus und fachlichen Beratung wir diesen diabetischen
Härtetest nicht so sicher und problemlos hätten meistern können.
Wir würden es sofort wieder tun, in diesem Sinne: " Diabetes and
exercise - can`t is just a four letter word!!! "
Ulrike Thurm, IDAA Deutschland