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Erfahrungsbericht von Beate Fleischmann
oder: Von der Currywurst zur Müsliwoman
Darf ich mich kurz vorstellen?
Beate die I. (1967 - 1997)
Ernährung: Zum Frühstück am liebsten Currywurst mit Pommes, rot/weiß.
Abends dann was Kräftiges, z. B. Schweinemedaillon in Gorgonzolasoße.
Gewicht: Beim letzten mutigen Gang auf die Waage über 90 Kilo.
Größe: 1,60 Meter
Sport: Na, bloß nicht!
Zigaretten: 40-60 Zigaretten täglich
Devise: Schaue niemals in den Spiegel!
Beate die II. (1997 - ?)
Ernährung: Täglich Salat, frisches Obst, Vollkornprodukte, Müsli
Gewicht: 62 Kilo
Größe: 1,60 Meter (gewachsen bin ich dadurch leider nicht mehr)
Sport: Regelmäßig Joggen, gelegentliches Radfahren, Schwimmen, Badminton
spielen und Tauchen
Zigaretten: Igitt!
Devise: Ich schaffe alles!
Mit 30 Jahren bekam ich meinen Typ-1-Diabetes. Meinen Körper hatte
ich nie besonders sorgfältig behandelt. Nun ließ mich die Diabetes-Schulung
wissen, dass es mit dem Lotterleben ab sofort vorbei war. Lange
Listen mit fast unbekannten Lebensmitteln wurden mir in die Hand
gedrückt, um die unterschiedlichen Kohlenhydratgehalte zu erlernen.
Natürlich war mir klar, dass zu einem gesunden Lebenswandel auch
das Nichtrauchen gehörte. Kurz nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört
hatte, wusste ich schon nicht mehr, wohin mit meiner neu gewonnenen
Energie. Zum ersten Mal in meinem Leben kam ich auf die Idee, mich
sportlich zu betätigen, und ich ließ mich von einer Arbeitskollegin
zum Joggen mitnehmen. Für mich war das eine Begegnung der dritten
Art, so als würde ich plötzlich Captain Kirk von der Enterprise
gegenüber stehen. Für eventuelle Unterzuckerungen hatte ich literweise
Apfelsaft am Rande der Laufbahn deponiert. Nach einigen Gymnastikübungen
zum Aufwärmen - so was hatte ich schon irgendwann mal im Fernsehen
gesehen - testete ich zum x-ten Mal meinen Blutzucker. Er lag bei
151 mg/dl. Sicherheitshalber trank ich noch 1 BE Apfelsaft, man
weiß ja nie. Mühevoll schleppte ich mich am ersten Tag zwei Runden
um den kleinen Sportplatz. Ich hatte 400 Meter geschafft und sank
sofort hinter der Ziellinie erschöpft auf den Rasen, doch meine
Kollegin zerrte mich hoch und ich musste mich nochmals mit Gymnastikübungen
abplagen, diesmal nannte sie es "Dehnübungen". Mein Blutzucker war
trotz Apfelsaft auf 131 mg/dl gesunken, damit konnte ich zufrieden
sein. Das war doch schon ein ganz guter Anfang! Nachdem ich mich
ein paar Mal mit meiner Arbeitskollegin zum Joggen getroffen hatte,
lief ich bald alleine weiter. Jeden Morgen vor der Arbeit schnürte
ich ab sofort die Laufschuhe und steigerte Woche für Woche meine
Laufdistanz. Mit regelmäßigen Blutzuckermessungen vor und nach meinen
Laufstrecken gewann ich auch Routine bei der Insulindosisanpassung.
Außerdem stellte ich fest, dass mit meinem verbesserten Trainingszustand
der Blutzuckerabfall beim Joggen nicht mehr so stark war. Wegen
des deutlich einfacheren Mitführens bin ich inzwischen von Apfelsaft
auf Carrero Traubenzuckerlösung als ständigen Laufbegleiter umgestiegen.
Ohne diesen Unterzuckerungsschutz in der Hosentasche gehe ich keinen
Zentimeter vor die Tür. Täglich wurde ich stolzer und nahm zwar
langsam aber kontinuierlich an Gewicht ab. Je weniger Gewicht ich
auf die Waage brachte, desto leichter fiel mir das Laufen. Ja, ich
muss zugeben: Nicht immer bin ich morgens voller Elan um fünf Uhr
aus dem Bett gesprungen. Doch auch unter widrigen Bedingungen lief
ich meine Strecke und ließ mich weder von Regen noch von Schnee
beeindrucken. Das Lauffieber hatte mich befallen! Meine neue Figur
gefiel mir. Ich fühlte mich so wohl wie noch nie. Die Umstellung
meiner Lebensgewohnheiten beinhaltete auch den Abschied von Aufzügen
und Rolltreppen. Aktivität überall ins tägliche Leben einzubauen,
war meine neue Devise. Irgendwie lernte ich die Mitglieder der IDAA
(Internationale Vereinigung diabetischer Sportler, s. Kap. 11.1)
kennen. Sie überredeten mich, am Würzburger Residenzlauf teilzunehmen,
einem Volkslauf über eine Strecke von 10 km. Bisher war ich noch
nicht einmal auf so eine Idee gekommen; ich, die doch immer so fett
und unsportlich war. Aber das war jetzt vorbei. Also, warum nicht?
Zehn Kilometer erschienen mir bei meinem aktuellen Laufpensum als
eine durchaus zu bewältigende Distanz. In Würzburg war ich trotzdem
furchtbar aufgeregt. Woran musste ich denken in dieser völlig neuen
Welt des Sports und der Sportler? Was war alles zu beachten um nicht
schon vor Beginn des ganzen Spektakels unangenehm aufzufallen? Würden
die anderen geübten Läufer mich als "Außerirdische" erkennen und
sich gar über mich lustig machen? Bisher war ich immer morgens gelaufen.
Da war die Insulindosisanpassung nicht schwer. Ca. zwei Stunden
vor dem Joggen programmierte ich meine Basalrate um. Anstelle der
0,6 Einheiten, die normalerweise um diese Zeit abgegeben wurden,
programmierte ich die Basalrate zwischen 3.00 Uhr und 5.00 Uhr auf
0,3 Einheiten. Die 50-prozentige Reduktion kam dann durch die ca.
einstündige Verzögerung beim Humaloginsulin so zwischen 4.00 bis
5.00 Uhr an. Das bedeutete, die Basalratenreduktion war aktiv, wenn
ich mit dem Laufen beginnen wollte. Wollte ich an einem Tag mal
nicht joggen, programmierte ich die Basalrate schnell wieder um.
Jetzt musste ich aber ausprobieren, wie mein Körper reagiert, wenn
ich zu einer ganz anderen Zeit laufe. Ein bis zwei Stunden, bevor
ich joggen wollte, senkte ich die Basalrate um 50 % ab. Der Blutzuckertest
direkt vor dem Lauf bestätigte mir, dass ich damit genau wie morgens
den von mir gewünschten leicht erhöhten Ausgangsblutzuckerwert von
ca. 150-180 mg/dl erreicht hatte. Weil ich weiterhin an Gewicht
verlieren wollte, reduzierte ich lieber die Insulindosis ausreichend,
um mir die Aufnahme von kalorienhaltigen Sport-BE zu ersparen. Prima,
es konnte losgehen! Nach dem Joggen lag mein BZ-Wert bei 105 mg/dl.
Es hatte also problemlos geklappt. Nach der gelungenen Generalprobe
stand dem Residenzlauf jetzt nichts mehr im Wege. Am 26.04.1999
war der große Tag gekommen. Ich wollte bloß alles richtig machen,
vor allem keine Unterzuckerung riskieren. Ich reduzierte wieder
um 50 %, als Vorsichtsmassnahme jedoch schon gute zwei Stunden vorher.
Mit großem Entsetzen hatte ich inzwischen feststellen müssen, dass
Würzburg "etwas" hügelig ist. Für mich kamen diese Berge fast einer
Alpenüberquerung gleich, ich kannte doch nur meine gewohnten, völlig
ebenen Laufstrecken. Weil ich nicht wusste, wie viel Anstrengung
mich dieses alpinistische Laufexperiment kosten würde, aß ich noch
eine zusätzliche Banane, ohne sie mit einem Bolus abzudecken. Mein
Blutzuckerwert am Start lag bei wunderbaren 185 mg/dl: Maßarbeit!
Die Berge empfand ich als überaus anstrengend. Doch ich erreichte
das Ziel in einer für mich ausgezeichneten Zeit von 59 Minuten.
Die anderen IDAA´ler hatten mich sofort als Eine der Ihren akzeptiert,
mein Blutzuckerwert lag im Ziel bei 160 mg/dl - es war alles traumhaft
gelaufen. Inzwischen habe ich mit der gleichen Freude und Begeisterung
an vielen anderen Laufveranstaltungen teilgenommen. Bei Sportveranstaltungen
der IDAA wagte ich mich auch noch in andere unbekannte Dimensionen
und Sportarten vor, denn in dieser Gemeinschaft fühlte ich mich
wahnsinnig wohl und hatte immer wieder unglaublich viel Spaß. Ich
habe immens von den Erfahrungen der anderen diabetischen Sportler
aus der IDAA profitiert. Sie haben es mir ermöglicht, die Welt des
Sports auch mit Diabetes gefahrlos, das heißt ohne schwere Stoffwechselentgleisungen,
kennen zu lernen. Der Sport hat mein Leben um 180 Grad verändert,
mir Erlebnisse und Erfahrungen eröffnet, von deren Existenz mir
vorher nichts bekannt war. Mit jedem gelaufenen Meter bereue ich
all die Jahre meines Lebens, die ich vorher ohne Sport verbracht
habe. Der Diabetes hat mich dabei nicht eine Sekunde lang behindert,
im Gegenteil, er hat mir sogar den Anstoß zu diesem neuen Leben
gegeben.
Andreas Koch,
100 - Meter - Sprinter, Mainz
"Sprint mit Spritze"
469 ! "Tja, das wars dann wohl," so der lapidare Kommentar des Arztes
im Krankenhaus. Schock ? Merkwürdigerweise nicht. Eher Erleichterung!
Vorbei die Zeit des Fragens: " Was ist los mit dir?" Ich wußte zwar
nicht, was jetzt im einzelnen auf mich zukommen würde, aber ich
hatte endlich etwas Greifbares, eine Diagnose mit der ich mich auseinandersetzen
konnte. Meine erste Sorge galt meinem Studium. Zwei Monate zuvor,
im Oktober 1989, hatte ich an der Universität Essen mein Sportstudium
aufgenommen. Die Frage war nun: "Kann man trotz Diabetes mellitus
Sport studieren?" Mein Arzt beruhigte mich rasch. Anfangs gäbe es
sicherlich ein paar Probleme, auf Dauer wäre der Sport aber nur
von Vorteil. Daran habe ich mich gehalten. Im Februar 1990, knapp
2 Monate nach meiner Einlieferung ins Krankenhaus, stand ich in
Österreich auf der Skipiste. Selten habe ich später wieder so gute
Werte wie damals erreicht. Während des Studiums entdeckte ich meine
Begabung, schnell zu laufen. Im Grundfach Leichtathletik lief ich
die 100 m in 10,9 Sekunden. Davon angestachelt versuchte ich den
Start bei den Spezialisten. Die Uhr blieb bei 11,14 Sekunden stehen
und ich hatte meine neue Sportart gefunden. Ich fing nun an, ziemlich
regelmäßig zu trainieren. Zwei bis drei Trainingseinheiten pro Woche
wurden absolviert und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.
10,8 Sekunden über 100 m und 6, 87 Sekunden über 60 m in der Halle.
Das bedeutete nach nur 6 Monaten Training meine erste Teilnahme
an Deutschen Hallenmeisterschaften. 1991 lief ich 10, 57 Sekunden
und wurde damit Deutscher Hochschulvizemeister. In den Jahren 1992
- 1995 war ich leider immer wieder verletzt, so daß ich meine Bestzeiten
kaum verbessern konnte. Erst nachdem ich mich im Herbst letzten
Jahres emotional aus der Leichtathletik verabschiedet hatte, ging
es wieder aufwärts. Weniger Training, weniger Druck von außen und
innen ( ! ) und die im Sprint so dringend benötigte Lockerheit war
wieder da. Prompt verbesserte ich mich in der Halle auf 6, 72 Sekunden
( Platz 5 der Deutschen Bestenliste 1996 ) und war plötzlich ein
Kandidat für die Nationalstaffel über 4*100 m. Fünf Wochen Trainingslager
in San Diego brachten mich zu Beginn der Saison dann in eine so
gute Form, daß ich am 24. 05. 1996 in Rhede die damalige Deutsche
Jahresbestzeit von 10, 30 Sekunden einstellte. Und das bei nur 12
Grad, leichtem Gegenwind und strömendem Regen. Dies bedeutete die
Nominierung für den Europacup in Madrid und das fast sichere Ticket
zu den Olympischen Spielen in Atlanta. Aber wie es im Sport so geht:
45 Minuten nach dem Einzellauf in Rhede verletzte ich mich als Startläufer
der Nationalstaffel und mußte den Europacup absagen. Die Vorbereitung
auf die deutschen Meisterschaften wurden dadurch natürlich erheblich
behindert. Dort kam ich trotz der siebtbesten Zeit aller Zwischenlaufteilnehmer
nicht in den Endlauf, und dies war für den Deutschen Leichtathletikverband
( DLV ) Grund genug, mich nicht für Atlanta zu nominieren. Dies
ist um so ärgerlicher, als jetzt jemand gefahren ist, dessen Bestzeit
bei 10, 45 Sekunden steht, 0,15 Sekunden schlechter als meine. Das
ist im Sprint auf diesem Niveau eine kleine Welt. Zielzucker: 1
Milligramm/ Meter Der Diabetes stört mich bei der Ausübung meines
Sportes nur sehr selten. Probleme treten nur bei Meisterschaften
auf, die sich über mehrere Tage hinziehen. Wenn man 8 oder 9 Stunden
im Stadion hockt, und das über 2 oder 3 Tage, dazu noch 4 oder 5
mal die Aufregung des Wettkampfes hinzukommt, ist es extrem schwierig,
den Zucker im grünen Bereich zu halten. Und mit Werten über 200
mg/ dl ist im Sprint, wo es bekanntlich um Hundertstel geht, kein
Start zu machen. Da ich vorwiegend Sprint trainiere und aerobe (
blutzuckersenkende ) Elemente nur einen sehr kleinen Teil meines
Trainings ausmachen, habe ich keinen großen Insulinspareffekt. Durch
das regelmäßige Training habe ich meinen Stoffwechsel allerdings
so gut angepaßt, daß ich eine sehr gute Kohlenhydratverwertung aufweise.
So ist es mir möglich, alles zu essen, was ich mag. Selbstverständlich
ist es notwendig, ständig den Blutzucker zu überwachen. Ich messe
5 - 10 mal am Tag und spritze bis zu 6 mal täglich Insulin. Dies
deckt sich vielleicht nicht mit der landläufigen Vorstellung eines
normalen Lebens, man darf aber nicht vergessen, daß das Blutzuckermessen
für den Diabetiker nicht mehr Umstände macht, als das Brille putzen
für den Brillenträger. Der Gewinn an Lebensqualität, den ich durch
das häufige Messen verzeichne, ist es auf jeden Fall wert. Konsequentes
Blutzuckermonitoring ist halt das A und O einer optimalen Stoffwechseleinstellung.
Dies gilt bei jedem Diabetiker, noch mehr bei einem diabetischen
Hochleistungssportler. Nach dem Training habe ich oft extrem erhöhte
Blutzuckerwerte ( bis zu 450 mg/ dl ), dies sind jedoch durch sehr
wenige Einheiten Insulin in kürzester Zeit wieder im Limit. Mein
HbA1c Wert liegt im Moment bei 6,1%. Dies beweist, daß ich mich
auf dem richtigen Weg befinde.
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